Jedes Türchen ein Pläsierchen: Der belesene Adventskalender

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Sie brauchen dieser dunklen Tage mal wieder frische Lektüreideen? Wissen wieder einmal nicht, was verschenken an Weihnachten? Ein Buch geht immer – und Vorschläge haben wir reichlich. Bis zum 24. Dezember öffnen wir hier täglich ein weiteres Türchen, um Ihnen eines jener Bücher mit dem besonderen Etwas vorzustellen, die dieses Jahr das Licht der Welt erblickt haben. Kommen Sie mit uns auf Adventslese – möglicherweise werden Sie ja fündig. Hinter Türchen Nr. 18 zum Vorschein kommt heute:

Fernando Aramburu: »Reise mit Clara durch Deutschland«

Fernando Aramburu: „Reise mit Clara durch Deutschland“
Rowohlt, 591 Seiten (geb.)

Spanischer Blick auf deutsche Sitten, Bräuche und Lebensweisen

Der spanische Schriftsteller Fernando Aramburu, viel gelobter Autor des Romans „Patria“ (2018), lebt schon seit Mitte der 1980er Jahre in der Nähe von Hannover – und hat in den vergangenen vier Jahrzehnten ausreichend Gelegenheit gehabt, die Deutschen in all ihren verschiedenen Ausprägungen und Marotten kennenzulernen. So kommt es denn auch nicht von ungefähr, dass er uns in seinem neuen Roman „Reise mit Clara durch Deutschland“ auf einen Roadtrip durch deutsche Lande einlädt, die er aus den Augen eines namenlosen spanischen Ich-Erzählers, von seiner deutschen Frau in der Regel nur ‘Maus‘ genannt, erkunden lässt. Eben jene Gattin, die im Titel benannte Clara, möchte, dass er sie auf einer Recherchereise durchs Land begleitet. Clara ist eigentlich Lehrerin, hat sich aber ein Sabbatjahr genommen, um einen literarischen Reiseführer über Deutschland zu schreiben. Ihr Verleger hat ihr bereits einen nennenswerten Vorschuss ausgezahlt, jetzt braucht sie nur noch jemanden, der für sie den Chauffeur und Fotograf, vielleicht auch den Beschützer spielt: den Ehemann. Maus fügt sich, eher un- als willig.

Gemeinsam brechen beide irgendwo oben im Norden bei Wilhelmshaven an der Nordsee auf, erste Stationen sind Bremen, Hamburg und Hannover, danach geht es im Zickzackkurs über den Harz nach Berlin und in die Lüneburger Heide weiter gen Süden. Zwischendurch immer mal wieder gen Heimat, um nach dem Garten und dem bei der Nachbarin abgegeben Hund zu sehen. Der „Goethe“ heißt und einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Entwicklung der Geschichte nimmt.

Auf der ‘Reise durch Deutschland‘ zeigt sich recht bald, dass Maus, der Gatte, bei weitem nicht nur ‘Qualitäten‘ in den ihm von der Gattin zugewiesenen Aufgaben – chauffieren, fotografieren, assistieren, beschützen – vorzuweisen hat, sondern auch in seiner ‘Maus-Rolle‘ ziemlich gut funktioniert. Besser als er gedacht und seine Frau sich gewünscht hat. Denn während sie fortwährend um die passenden Worte ringt, gehen die Notizen, die er sich für uns, die Leserschaft macht, stets flott und geradezu ausschweifend von der Hand. Allerorten spielt er ‘Mäuschen‘, macht sich Notizen zu deutschen Befindlichkeiten, deutschen Denkweisen, deutschen Wohnzimmern – und wandelt sich unmerklich vom Assistenten zu demjenigen, der letztlich anstelle seiner Frau die Reise niederschreibt und veröffentlicht.

Vieles davon liest sich liebenswert humorvoll, manches ist drollig, manches albern und manches voller süffisanter Ironie. Auf den ersten Blick mag man „Reise mit Clara durch Deutschland“ in seiner vordergründigen Heiterkeit gar für eine auf Romanlänge gedehnte Magazinkolumne über die Irrungen und Wirrungen eines Paares auf Deutschlandtour halten. Auf den zweiten, genaueren Blick erweist sich der sehr nahbare Roman jedoch als ein vielschichtiges und gut austariertes Porträt deutscher Sitten, Bräuche und Lebensweisen, die Aramburu über seine Erzählerfigur zum Vorschein bringt. Allerdings eben so, dass man sich nicht etwa peinlich berührt, bloßgestellt oder gar verletzt fühlt. Nein, man vermag sich in diesem mit sehr hintergründigem Humor dargebotenen Spiegelbild durchaus mit einem erkennenden Lächeln wiederzufinden. Und Fernando Aramburu dafür danke, dass er sich trotz (oder vielleicht wegen?) all der Jahre, die er bereits in Deutschland lebt, diesen erstaunlich gut geschulten Blick des ‘Fremden‘ bewahrt hat.

Unterhaltsame, bereichernde Lektüre – definitiv einen Buchtipp wert.