Manfred Krugs gesammeltes Leben

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Es ist so etwas wie eine kleine literarische Sensation: die Veröffentlichung der Tagebücher von Manfred Krug. Das jüngst erschienene Buch „Ich sammle mein Leben zusammen“ umfasst zunächst die Jahre 1996 und 1997 – weitere sollen folgen. Wir sprachen mit Verleger Gunnar Cynybulk vom Berliner Kanon Verlag, in welchem die Tagebücher erschienen sind.

Wie ist denn der Kanon Verlag an diesen noch literarischen Schatz Manfred Krugs gekommen?

Gunnar Cynybulk: Ich kenne die Herausgeberin des Tagebuchprojekts Krista Maria Schädlich, Manfred Krugs langjährige Lektorin und Vertraute, schon einige Jahre. Wir sind befreundet, und ich schätze sie und ihre Art zu arbeiten. Literatur und Leben sind bei ihr eins. Als ich unseren Verlag gründete, erfuhr ich von Krista, dass Krug jahrelang fleißig Tagebuch geschrieben hat. Da Manfred Krug und seine früheren Bücher zu den wichtigen biografischen Meilensteinen meiner Familie zählen, war ich sofort hellhörig und habe mein Interesse bekundet, bei Herausgeberin und den Kindern Manfred Krugs. Ich bin sehr froh und stolz, dass man mir das Vertrauen ausgesprochen hat, dieses ungewöhnliche Werk in mehreren Bänden publizieren zu dürfen.

Manfred Krug
Foto: Elke Petra Thonke

Wie kam es, dass Manfred Krug 1996 damit begonnen hat, Tagebuch zu schreiben? Gab es dafür einen konkreten Anlass?

Cynybulk: Krug hat schon 20 Jahre zuvor Tagebuch geschrieben, siehe sein berühmtes Buch „Abgehauen“. Ich glaube, dass er in beanspruchenden Zeiten diese Form der Selbstvergewisserung, des Zeugnisablegens für sich brauchte. 1996/97 war er wieder in einer kritischen Lebensphase, diesmal nicht politisch, sondern eher privat. Sein Intimleben war turbulent, sein bester und vielleicht einziger Freund Jurek Becker war sterbenskrank. Krug selbst fühlte sich alt und müde. Gleichzeitig war er gerade Vater einer jungen Tochter geworden und feierte als Autor Erfolge, auch sein Ruhm als Schauspieler wuchs stetig an. Der Widerspruch zwischen den beiden Persönlichkeiten, der öffentlichen und der privaten, hat sein Schreiben befeuert, würde ich sagen. Es geht ihm ja nicht allein so, wie die nicht wenigen guten Bücher von schauspielernden Schriftstellern zeigen, Selge, Meyerhoff, Berkel, um nur ein paar zu nennen. Diese Mischung aus höchster Textsensibilität, Exaltiertheit und Scheue ist produktiv.

Gunnar Cynybulk
Foto: Kat Kaufmann

In welcher Form liegen die Tagebücher eigentlich vor, und wie viele sind es insgesamt?

Cynybulk: Krug tippte die Geschehnisse des Tages in seinen „Zuse“, so nannte seinen Computer. Das war kein Laptop, sondern ein Apple Macintosh, der in seiner „Werkstatt“ genannten Zweitwohnung im Durchgangszimmer stand. Dort schrieb er emsig, auch mitten in der Nacht. Wenn er auf Tournee war oder Engagements hatte, machte er sich Notizen, die er später übertrug. Die Tagebucheintragungen umfassen mehre Tausend Seiten und sind von ihm bis kurz vor seinem Tod fortgeführt worden. Sie enden im Jahr 2015. Einzelne Jahrgänge hat er ausgedruckt und in Aktenordnern verwahrt.

Tagebücher sind ja bekanntermaßen sehr persönliche Texterzeugnisse: Waren jene Krugs dafür bestimmt, von einer breiten Öffentlichkeit gelesen zu werden?

Cynybulk: Zu seinen Lebzeiten hat Manfred Krug die Tagebücher gehütet wie seinen Augapfel, niemand durfte sie lesen. Als er einen Schlaganfall hat, von dem und dessen gravierenden Folgen im letzten Viertel des Buches die Rede ist, gilt sein erster Gedanke dem Computer: Ich schaffe es nicht, ihn auszuschalten, jemand muss das tun, ohne das Intime zu lesen. Doch Krug hat die Tagebücher ausdrücklich für eine spätere Veröffentlichung vorgesehen. Ein Hinweis darauf findet sich unter dem Datum des 2.12.1997. Dort heißt es: „Mir fällt ein: sollte ich schneller wegsterben als erhofft, und sollte sich ein Verlag finden, der diese Notizen drucken will, so wäre es gut, wenn ein ordentlicher Schreiber das Ganze ein bißchen einköcheln würde.“ Mit Kanon hat sich ein Verlag gefunden, und „eingeköchelt“ wurde bloß das, was Krug selbst persönlichkeitsrechtlich oder anstandshalber ausgelassen hätte. Sonst sind die Tagebücher, auch in der Rechtschreibung, so belassen worden wie vorgefunden.

Was, meinen Sie, sind besondere oder gar herausragende Facetten dieser Tagebücher?

Cynybulk: Manfred Krug ist vor 2016 gestorben, und er hat bei den Menschen eine Lücke hinterlassen. So ein Original wie er wird heute vielleicht mehr denn je vermisst. Warum? Weil er unbeugsam und frech war. Weil er so rührend und elastisch singen konnte und seine Figuren nicht nur gespielt hat, er war die Figur. Er war der größte deutsch-deutsche Star, eine Ikone in West wie Ost, Nord wie Süd. In seinen Tagebüchern bleibt er lebendig, in all seiner Widersprüchlichkeit. Beginnt sein Jahr 1996 noch als annus mirabilis mit der heimlichen Freude über die neugeborene uneheliche Tochter, wird 1997 zum annus horribilis. Krugs Jahre 96/97 sind spannend wie ein Krimi. Zugleich stellen sie wertvolle Zeugnisse einer in Vergessenheit geratenen Vergangenheit dar: der Boom der Telekom-Aktie, Lady Dianas Tod, dass Armin Müller-Stahl den Oscar nicht gewonnen hat – all das und vieles mehr findet sich darin aufgehoben. Manfred Krug liebte intensiv, und er stieß viele vor den Kopf. Er verlangte gutes Geld und spendete etliches davon heimlich, etwa an die Überlenden des KZ Ravensbrück. Er war engstirnig und großherzig, sanft und gemein. Er war ein Mensch, und zu unserem Glück hat er dabei mitgeschrieben.

Wie gehen die Nachfahren Manfred Krugs mit der Veröffentlichung dieser doch auch sehr intimen Tagebücher um?

Cynybulk: Sehr gut und bewundernswert offen. Sie wollen das Andenken des großen Schauspielers, Sängers und Autors pflegen und haben dabei durchaus unterschiedliche Väter in Erinnerung. Seine jüngste Tochter Marlene kennt eher den liebevollen „Papa“, der sie mit viel Zeit und Liebe beschenkte. Seine Tochter Fanny ist mit ihm getourt und hat ihn als Bühnenpartner erlebt. Für sie und den Sohn Daniel ist der Vater eher eine Respektsperson gewesen, die selten zu Hause war, angesichts von 300 Drehtagen im Jahr. Daniel Krug setzt seinem Vater auf besondere Weise ein Denkmal, indem er das Hörbuch von „Ich sammle meine Leben zusammen“ eingelesen hat.

Buchcover: Kanon Verlag

Wie viele weitere Veröffentlichungen der Tagebücher Manfred Krugs werden dieser ersten noch folgen?

Cynybulk: Es ist geplant, die Jahrgänge 1998/98 im Frühjahr 2023 und ein Jahr später die Jahre 2000- 2003 herauszubringen. Es würde mich aber wundern, wenn es dabei bliebe. Der „Zuse“ steckt voller Überraschungen, die es zu bergen gilt.

Vielen Dank!

Das Interview führte Florian Görmar.

„Manfred Krug: Ich sammle mein Leben zusammen. Tagebücher 1996-1997“ ist unter der ISBN-Nummer 978-3-98568-020-7 im Kanon Verlag erschienen und seit dem 26.01.2022 im Buchhandel erhältlich.