Sie brauchen dieser dunklen Tage mal wieder frische Lektüreideen? Wissen wieder einmal nicht, was verschenken an Weihnachten? Ein Buch geht immer – und Vorschläge haben wir reichlich. Bis zum 24. Dezember öffnen wir hier täglich ein weiteres Türchen, um Ihnen eines jener Bücher mit dem besonderen Etwas vorzustellen, die dieses Jahr das Licht der Welt erblickt haben. Kommen Sie mit uns auf Adventslese – möglicherweise werden Sie ja fündig. Hinter Türchen Nr. 15 zum Vorschein kommt heute:
Robert Macfarlane: »Berge im Kopf«
Mensch und Berg: Die Entstehung einer intensiven Beziehung
Der Mensch lebt zwar schon seit Anbeginn seines Daseins in unmittelbarer Nähe von Bergen, auf die Idee, eben diese zu besteigen, kommt er jedoch erst seit gut dreihundert Jahren. Lange, lange Zeit galten uns Berge eher als Orte des Schreckens, wo man eher Drachen und Dämonen vermutete oder als Orte kultischer Verehrung, die nur aus angemessener Entfernung zu betrachten waren denn als Orte der Erholung, des Abenteuers, der Herausforderung. Erst in der Zeit der Aufklärung und in noch stärkerem Maße während der Romantik wandelten sich die Berge allmählich vom gemiedenen Ort des Schreckens zu einem der Anziehung: Vor allem Naturwissenschaftler und Abenteurer, aber auch Literaten und Philosophen begannen, luftige Höhen der Bergwelt zu erkunden – auf der Suche nach neuen Erkenntnissen, einem Gefühl von Erhabenheit, der rauschhaften Wirkung von Eroberung und lustvoller Angst.
Spätestens mit Beginn des 20. Jahrhunderts erfuhr dieser Wandel noch einmal eine erhebliche Steigerung als Bergsteiger begannen, sich selbst in Höhen vorzuwagen, die heute gemeinhin mit dem Begriff ‘Todeszone‘ beschrieben wird, alleinig, um von sich behaupten zu können, den Berg ‘bezwungen‘ zu haben. Legendär in diesem Zusammen die Antwort der britischen Bergsteigerlegende George Mallory auf die Frage eines Journalisten, warum er sich partout in den Kopf gesetzt habe, den Everest zu besteigen, kurz und knapp antwortete: „Weil er da ist.“
George Mallory wusste durchaus auch um die Gefahren, die ihn in den eisigen Höhen des höchsten Bergs der Welt erwarteten und ließ dennoch nach bereits zwei gescheiterten Versuchen nicht davon ab, im Juni 1924 noch ein weiteres Mal gemeinsam mit seinem Seilpartner Andrew Irvine dem Gipfel entgegenzustreben. Seinen vom Eis konservierten Leichnam sollte der Bergriese erst 75 Jahre später wieder freigeben…
Eingang gefunden hat die Geschichte George Mallorys selbstverständlich auch in das vor Kurzem bei Matthes & Seitz in der wunderbaren „Naturkunden“-Reihe erschienene Buch „Berge im Kopf“ von Robert Macfarlane. Schließlich geht Macfarlane, selbst ein erfahrener Bergsteiger, darüber hinaus aber vor allem als Literaturwissenschaftler, Essayist und vielfach preisgekrönter Naturschriftsteller weit über die Grenzen seiner schottischen Heimat bekannt, in diesem bereits 2003 im Original veröffentlichten Buch ebenfalls jener großen Frage des ‘Warums‘ nach. Warum zieht es den Menschen auf die Gipfel der Berge (man denke hierbei nur an die Massen von Bergsteigern, die alljährlich am Mount Everest Schlange stehen) – selbst dann, wenn die Gefahr, nicht lebend wieder zurückzukehren, geradezu greifbar ist?
Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, nimmt uns Macfarlane mit auf einen mehr als 300 Seiten umfassenden beachtlichen Ritt durch die Kulturgeschichte des Faszinosums Berg, der sowohl inhaltlich wie auch erzählerisch durchweg in seinen Bann schlägt. Denn der Autor beschreibt nicht nur allein anhand einer Vielzahl an Reise- und Forschungsberichten und diverser Ausflüge in die Bereiche der Geologie, der Literatur, Philosophie und Alltagskultur, wie diese Faszination in unsere Köpfe gelangt ist, sondern flicht neben den Berichten legendärer Bergbesteigungen auch immer wieder eigene Erlebnisse, eigene Anekdoten halsbrecherischer Bergabenteuer ein. All dies so über alle Maßen lebendig und anschaulich erzählt, dass man ihm seine ureigene Erklärung für die ungemeine Faszination, die Berge heute auf uns ausüben, zu guter Letzt nur zu gern ‘abkaufen‘ möchte: „Es ist die Umkehrung der Schwerkraft beim Bergsteigen“, schreibt Macfarlane, „eine Anziehungskraft, die einen immer weiter nach oben zieht.“
„Berge im Kopf“ ist ein wunderbar gestaltetes, brillant erzähltes und höchst lehrreich dargebotenes Leseabenteuer, das einem wie wahrscheinlich kein zweites Buch den Zauber der Berge näherzubringen vermag.