Sie brauchen dieser dunklen Tage mal wieder frische Lektüreideen? Wissen wieder einmal nicht, was verschenken an Weihnachten? Ein Buch geht immer – und Vorschläge haben wir reichlich. Bis zum 24. Dezember öffnen wir hier täglich ein weiteres Türchen, um Ihnen eines jener Bücher mit dem besonderen Etwas vorzustellen, die dieses Jahr das Licht der Welt erblickt haben. Kommen Sie mit uns auf Adventslese – möglicherweise werden Sie ja fündig. Hinter Türchen Nr. 10 zum Vorschein kommt heute:
Sylvia Townsend Warner: »Lolly Willowes«
Mit teuflischer Hilfe zur Selbstbestimmung
Höchste Zeit für die Wiederentdeckung eines Klassikerromans. Viele großartige Bücher haben wie auch ihre VerfasserInnen bekanntlich die seltsame Angewohnheit, nach einem leuchtenden Erstauftritt und allgemeiner Bekanntheit bzw. Beliebtheit im Laufe der Jahrzehnte allmählich und irgendwie unaufhaltsam hinter all den nachfolgenden großartigen Büchern und AutorInnen zurückzutreten und letztendlich dem Vergessen anheim zu fallen. Zum Glück bemühen sich Verlage immer wieder, diesem Prozess Einhalt zu gebieten und legen zumindest die Klassiker, die es wirklich verdient haben, von nachgeborenen Generationen noch einmal neu entdeckt zu werden, neu auf. So hat zum Beispiel die Büchergilde Gutenberg vor kurzem den 1926 verfassten Debütroman „Lolly Willowes“ von Sylvia Townsend Warner frisch entstaubt und bereichert um einem schmucken Leineneinband und ein ausführliches Nachwort wieder aufgelegt – und dabei eine richtig gute Wahl getroffen. Denn der Roman hat trotz seines vermeintlich hohen Alters nicht Muffiges an sich, hat vielmehr in der Rückbetrachtung sogar noch an Aktualität gewonnen.
Zur Story: Mit Ende vierzig hat Laura Willowes endgültig genug: Über Jahre hinweg musste sie im Londoner Haus ihres Bruders leben und als helfende Hand im Haushalt helfen, für dessen Kinder stets die gute Tante ‘Lolly‘ mit schier endloser Geduld mimen. Jetzt sind diese aus dem Haus und Laura beschließt, endlich das selbstbestimmte Leben zu führen, das sie schon immer führen wollte – frei von allen gesellschaftlichen Normen und Zwängen, frei von Verkupplungsversuchen, mit denen die wohlmeinende Verwandtschaft sie seit Jahr und Tag nervt, frei von Ansprüchen, die andere fortwährend an sie stellen. Nur noch mit sich selbst – nur noch sie selbst sein will sie. Entgegen aller Widerstände ihres Bruders zieht sie nach Great Mop, ein kleines verwunschenes, von dichten Wäldern umgebenes Dorf, um sich dort ihrer großen Leidenschaft für Pflanzen, Kräuter und deren magische Wirkung, also ihrer wahren Berufung zuzuwenden: Hexe sein. Doch dann taucht unversehens ihr Neffe bei ihr auf und richtet sich wie selbstverständlich bei ihr ein, um in der Ruhe des Waldes an seinem Buch schreiben zu können. Nur hat er da die Rechnung ohne seine Tante gemacht – die sich beim Teufel höchstpersönlich Hilfe holt, um endlich ihren Traum vom freien, selbstbestimmten Leben Wirklichkeit werden zu lassen…
Mit großer satirischer Heiterkeit erzählt Townset Warner in ihrem Debütroman eine vom Realismus zum Märchenhaften sich wandelnde Geschichte, die ohne Zweifel aus heutiger Sicht einen Markstein der feministischen Literatur darstellt – aber auch die Frage aufwirft, ob es wirklich Elemente des Magischen bedarf, um einer Frau zur ersehnten Freiheit zu verhelfen. Dem Roman tut diese Liaison von Lolly Willows mit dem Teufel auf jeden Fall so gut, dass der britische Guardian diesen auch knapp hundert Jahre nach seiner Entstehung nach wie vor zu den 100 besten je erschienenen englischsprachigen Romanen zählt. Und das will tatsächlich etwas heißen, oder?