Lesestoff für die Dunkelzeit

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Mit dem anhaltenden Lockdown ist der Zugang zu kulturellen Angeboten außerhalb der eigenen vier Wände empfindlich eingeschränkt – ein Umstand, der das Buch noch mehr als sonst zu einer willkommenen Alternative werden lässt. Bei der Qual der Wahl der passenden Lektüre stehen wir natürlich gern hilfreich zur Seite — mit Büchertipps zu aktuellen Neuerscheinungen. Heute:

Olli Jalonen: »Die Himmelskugel«

Von einem, der auszog, seinen Meister zu finden

Olli Jalonen: „Die Himmelskugel“
mare Verlag, 544 Seiten (geb.)

Für einen, der schon seit über 40 Jahren regelmäßig Bücher (knapp 20 bislang) veröffentlicht, in seinem Herkunftsland Finnland schon sämtliche namhaften Literaturpreise zugesprochen und verliehen bekommen hat, teils gleich mehrfach; für einen, der stets federleicht und ziemlich mitreißend von den großen und kleinen Dingen in Vergangenheit und Gegenwart zu erzählen weiß, ist das Werk Olli Jalonens hierzulande bislang doch recht unbemerkt geblieben. Gut, dass der mare-Verlag dieser Nachlässigkeit etwas entgegenzusetzen weiß und nach „Vierzehn Knoten bis Greenwich“ (2010) und „Von Männern und Menschen“ (2016) mit „Die Himmelskugel“ nun schon den dritten Roman des erzählfreudigen Finnen in deutscher Übersetzung veröffentlicht hat. Welcher sich einmal mehr als ein wahrer Jalonenscher Schmöker, eine richtige literarische Abenteuergrube erweist, in der man sich gefesselt und gepackt, ja genüsslich durch mehr als 500 Seiten wühlen kann.

Für „Die Himmelskugel“ hat Jalonen einen der ganz großen Gelehrten aus der Anfangszeit der Aufklärung aus der Historienkiste gezaubert: den Sternenforscher, Mathematiker, Kartographen und Meteorologen Edmond Halley. Jenen Halley also, nach dem der berühmte Komet benannt ist, der alle 75 Jahre mit großem Leuchtschweif an der Erde vorbeizieht. Jener Halley ebenso, in dessen Forscherfußstapfen sehnlichst gern Angus, die achtjährige Hauptfigur von Jallonens Geschichte, treten möchte. Angus lebt anno 1679 fernab des europäischen Festlands, auf der mitten im Süd-Atlantik gelegenen Insel St. Helena. Um auf die Erfüllung seines Berufstraums bestens vorbereitet zu sein, übt sich der Steppke, aus dessen Sicht wir auch das Buchgeschehen geschildert bekommen, voller Eifer als strebsamer Wissenschaftler: zählt Vögel, markiert Sterne und hält das jeweilige Tageswetter in einer Chronik fest – ganz so, wie es ihm Edmont Halley bei seinem Besuch auf der Insel zwei Jahre zuvor aufgetragen und beigebracht hatte.

Nun ist sich Angus durchaus des Umstands bewusst, dass er auf einer Insel lebt, von der aus es in eigentlich jede Himmelsrichtung mehrere Hundert Kilometer bis zum nächsten Festland sind und es daher das Schicksal schon ziemlich gut mit ihm meinen muss, damit er seinem Idol und vielleicht auch Wunsch-Ersatzvater neuerlich begegnen kann – doch herrje: wozu sonst gibt es denn dieses Schicksal? Tatsächlich kommt seine große Stunde früher als er sich zu träumen gewagt: Nachdem es unter dem tyrannischen neu eingesetzten Insel-Gouverneur zu Unruhen gekommen ist, beschließt der Pfarrer, Angus als blinden Passagier an Bord eines Ostindienfahrers mit Kurs auf England zu schicken. Er möge in London die Hilfe eben jenes jungen Forschers erbitten, dessen Besuch die Inselbewohner so gut in Erinnerung behalten haben. Und schon geht sie los, die abenteuerliche Schiffsreise des wissensdurstigen Angus von der Totholzebene auf St. Helena, auf ins ferne London…

Wenn’s ums Geschichtenerzählen geht, kann man Olli Jalonen wahrhaftig nichts vormachen: „Die Himmelskugel“ entpuppt sich als großartiger Abenteuerroman, der jede Menge Zeitkolorit ausbreitet, mit einer außergewöhnlichen Freundschaft aufwartet und natürlich, nach so manch umschifften Dilemma und Bedrängnis, in einem wohlverdienten ‘Happy End‘ seinen runden Abschluss findet.