„Poesie ist kein Gebrauchsartikel“

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Interview von Reinhard Franke.

In Zeiten wie diesen gibt es kaum etwas Schöneres, als die Liebe in den Mittelpunkt zu rücken und darüber zu sprechen. Das denken sich auch das Schauspieler-Paar Ann-Kathrin Kramer und Harald Krassnitzer. Auf der neuen Poesie-CD „Was ist Liebe“ lesen die beiden einen Großteil der Gedichte von Schönherz & Fleer, den Schöpfern einiger der erfolgreichsten deutschsprachigen Lyrikprojekte.

Ähnlich wie bei ihrem preisgekrönten Rilke-Projekt haben sich Schönherz & Fleer erneut einer Vielzahl dichterischer Werke aus zwei Jahrhunderten gewidmet. Die CD venthält außerdem mehrere Kompositionen mit musikalischen Gästen wie Benne, Clara Louise und Dieter Hallervorden. Wir haben mit Kramer und Krassnitzer gesprochen.

Harald Krassnitzer: Wir haben einen ganz natürlichen Blick auf die Liebe und versuchen, dieses Gefühl von allen Elementen des Wahnsinns und der Folklore zu befreien, weil da so viel Mist drumherum ist. Das, was wir in unserer Beziehung und in unserem Umfeld leben, hat mehr damit zu tun, dass Liebe ein Zustand ist, der uns ermöglicht, Dinge unvoreingenommen zu sehen. Wenn dieses Gefühl, das wir Liebe nennen, uns befällt, dann ist das ein freier, offener Gedanke. Und in solchen Momenten können wir die Welt so sehen, wie sie wirklich ist. Das ist für mich eines der schönsten Elemente in einer Beziehung.

Krassnitzer: Gestern. (beide lachen).

Ann-Kathrin Kramer: Ich wusste es ein bisschen später als mein Mann. Ich war noch in einer Beziehung und nicht so offen, um sofort alles zu erkennen. Wir waren also etwas ungleichzeitig.

Krassnitzer: Ja, den gab es. Es war kein Wort von ihr, sondern eine Beobachtung. Man steht in einem Raum und plötzlich fällt einem diese Person auf. Normalerweise verfallen wir, wenn wir jemanden sehen, sofort in eine Rolle und versuchen, etwas darzustellen. Doch in diesem Augenblick war da jemand, der das nicht tat. Es gab da etwas anderes, etwas, das mich total fasziniert hat: eine Vielschichtigkeit, Kraft, aber auch Verletzlichkeit, Wärme und Energie. Dazu kam diese unbändige Lust, das Leben zu genießen. Das hat mich sehr beeindruckt.

Harald Krassnitzer
Foto: Thomas Ramstorfer

Krassnitzer: Ich habe drei Wochen gebaggert und dann ein Jahr gewartet – ohne Kontakt, ohne Telefonate. Es war vollkommen klar, dass dieses Jahr ein Jahr des Wartens sein würde. Aber das, was da war, kann man ja nicht einfach löschen. Natürlich bestand die Möglichkeit, dass sie am Ende sagt: „Nein, das wird nichts.“ Aber es kam ja zum Glück anders. (beide lächeln)

Kramer: So mit 14. Also in dieser Phase, in der man versucht sich selbst zu finden. Gedichte zu schreiben ist eine hohe Kunst. Wenn mir ein wirklich gutes Gedicht gelänge, würde mich das natürlich freuen aber da gibt es deutlich begabtere Menschen als mich. Posie braucht Zeit und es ist schön, sich auf die Suche nach heutigen Poeten zu begeben. Bei diesem Album ist es spannend, dass die Gedichte aus unterschiedlichsten Zeiten stammen. Man begibt sich auf eine Spurensuche nach der Frage: Was ist Liebe?

Krassnitzer: Es war nicht nur ein „Dürfen“, wir wollten es auch. Es gibt zwei entscheidende Faktoren: Zum einen haben Schönherz & Fleer mit dem Rilke-Projekt bereits etwas Großes geschaffen, mit vielen herausragenden Kollegen und Künstlern. Zum anderen ist Richard Schönherz eine wichtige Figur der österreichischen Musikszene, insbesondere in den 80er- und 90er-Jahren. Von André Heller bis Austria 3 – Schönherz hat das alles mitgeprägt. Als die Anfrage kam, haben wir schnell begeistert „Ja“ gesagt. 

Ann-Kathrin Kramer
Foto: Mirjam Knickriem

Kramer: Natürlich ist das schade, und wir alle müssen uns da an die eigene Nase fassen. Es sind scheinbar andere Dinge wichtig, das Tempo ist ein anderes. Die Welt steht gerade Kopf. Aber wenn wir kurz innehalten und und die Zeit nehmen erkennen wir ja sehr schnell, was Worte, was auch Poesie für eine Wirkung haben kann. Das erklärt ja auch ein bisschen, warum dieses Album so erfolgreich gestartet ist. 

Krassnitzer: Jede Zeit hat ihre eigene Ausdrucksform. Poesie ist kein Gebrauchsartikel, sondern ein Schlüssel zu einem anderen Raum des Denkens. Sie hilft uns, eine Beziehung zu den Dingen herzustellen. Heute stehen wir in ständiger Spannung mit Informationen, die wenig mit uns selbst zu tun haben. Ein Buch zu lesen ist der Ausgangspunkt, um kreativ zu werden. Es wird die Zeit kommen, in der die Menschen wieder darauf zurückgreifen. Poesie stillt eine tiefe Sehnsucht in uns.

Kramer: (lacht) Wir haben kein Regelwerk. Was für jede zwischenmenschliche Beziehung gilt, gilt auch für uns: Man verhält sich anständig und tut niemandem etwas, was man selbst nicht erfahren möchte. Das hat mit Anstand, Freundlichkeit und Güte zu tun. Überträgt man das auf eine Partnerschaft, kommt man schon weit.

Krassnitzer: Freundschaften sind eine Achillesferse in unserem Leben. Wir sind viel unterwegs, und es ist schwer, Zeit zu finden. Es geht Tina und Wolfgang ähnlich. Wenn wir Zeit haben, sind sie beschäftigt – und umgekehrt. Doch bei den wenigen, dafür richtigen Freunden, wie den beiden, ist es so: Man trifft sich einmal im Jahr, und es fühlt sich an, als wäre keine Zeit vergangen. Dann geht es nicht um Oberflächlichkeiten wie „Hast du meinen letzten Film gesehen?“. Stattdessen ist man einfach beieinander, manchmal redet man auch nur Blödsinn, und das ist wunderbar.

Kramer: Darf ich das beantworten? Es ist uns zuletzt klar geworden, wie gehetzt wir oft durchs Leben rasen. Ich sage oft zu mir: „Das brauche ich gar nicht, das interessiert mich nicht, das muss ich nicht besitzen.“ Das verändert und entspannt die Lebensstruktur enorm, weil man plötzlich mehr Zeit hat. Wesentlich ist, Zeit miteinander zu verbringen und das tun wirvermehrt.

Krassnitzer:  Viele Signale in uns sagen: „Das Leben, das wir führen, ist zu anstrengend.“ Wir sollten uns fragen, ob das wirklich das ist, was wir wollen. Der alte sozialdemokratische Spruch lautet: „Acht Stunden sollst du arbeiten, acht Stunden sollst du ruhen, acht Stunden sollst du Mensch sein.“ Aber was bedeutet es eigentlich, acht Stunden Mensch zu sein? Das ist eine schöne Frage, die es zu beantworten gilt.

Kramer: Es ist mit der Zeit immer entspannter geworden. Es gab eine Phase, in der man das Gefühl hatte, es müsse genau so oder so ablaufen, der Baum müsse an einem bestimmten Platz stehen aber mittlerweile haben wir uns von diesen Zwängen verabschiedet. Innerhalb der Familie sind wir enger zusammengerückt, das ist klar. Wir haben uns von Ritualen befreit, die uns nur unter Druck gesetzt haben. Seitdem wird es jedes Jahr schöner. Wir wollen einfach zusammen sein, quatschen und etwas Gutes essen. Geschenke machen wir uns auch nicht mehr. Stattdessen veranstalten wir nur noch Schrottwichteln – mit lustigen, schrägen oder sinnlosen Dingen. Es macht einfach Spaß, etwas auszupacken. (lacht)

Krassnitzer: Das Wichtigste ist, dass man sich Zeit nimmt. Weihnachten ist ja ein Geburtstagsfest, das man feiert. Wir fangen abends an zu kochen, ohne Stress.

Harald Krassnitzer und Ann-Kathrin Kramer im Gespräch mit Reinhard Franke (rechts).
Foto: Reinhard Franke

Krassnitzer: Wir sind nicht so vermessen zu glauben, dass eine CD mit schönen Gedichten und Musik die Welt verbessern könnte. Das tut sie nicht. Sie ist nur ein kleiner Beitrag unter vielen. Uns freut es sehr, wenn Menschen sagen, dass diese CD sie berührt hat. Das ist schließlich der Kern unseres Schaffens. Berühren – das ist die wesentlichsteAufgabe, die wir in unserem Beruf haben. Wenn wir eine Geschichte erzählen, sollte am Ende nicht die Botschaft stehen: „Mensch, der hat sich aber viel Text gemerkt.“ Wichtiger ist, dass jemand zuhört und für eine Weile nicht darüber nachdenkt, wo die Fernbedienung liegt oder was in der Welt gerade alles schiefläuft. Wenn uns das gelingt, haben wir viel erreicht. Das ist unser Ziel. Menschen berühren sich heutzutage viel zu selten. Viel zu oft haben Beziehungen mehr mit Partikularinteressen zu tun, als mit wirklichen Freundschaften und Gefühlen.

Krassnitzer: Wir glauben nicht, dass sie besonders ist, sondern empfinden sie als etwas ganz Einfaches. Es gibt keine Technik dafür. Wir geraten selten in die Versuchung zu denken, wir seien etwas Besonderes oder anders als andere. Durch unseren Beruf haben wir einen sehr offenen Kanal, durch den wir sehen können: „Da zwickt es gerade.“ Wir schauen auf die Welt, auf uns selbst, und wir lassen zu, dass der andere wächst. Das ist aber nichts Besonderes – es ist die Grundlage einer Beziehung. Wir waren immer durch eine große Neugier verbunden. Dazu kommen gegenseitiger Respekt und Freude. Es ist oft lustig zu hören, wie Paare erzählen, sie hätten sich schwer verliebt, und vier Wochen später sind sie dann wieder entliebt.

Kramer: Ich finde, damit ist alles gesagt.

Schönherz & Fleer Poesie Projekt – Was ist Liebe: das Album ist im Handel erhältlich.