Jedes Türchen ein Pläsierchen: Der belesene Adventskalender

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Sie brauchen dieser dunklen Tage mal wieder frische Lektüreideen? Wissen wieder einmal nicht, was verschenken an Weihnachten? Ein Buch geht immer – und Vorschläge haben wir reichlich. Bis zum 24. Dezember öffnen wir hier täglich ein weiteres Türchen, um Ihnen eines jener Bücher mit dem besonderen Etwas vorzustellen, die dieses Jahr das Licht der Welt erblickt haben. Kommen Sie mit uns auf Adventslese – möglicherweise werden Sie ja fündig. Heute:

Bryan Washington: »Dinge, an die wir nicht glauben«

Eine wünschenswert menschliche Geschichte

In den USA wird der 28-jährige Autor Bryan Washington schon seit der Veröffentlichung seiner Kurzgeschichtensammlung „Lot“ im Jahr 2019 als einer der neuen Shootingstars der US-amerikanischen Literaturszene gehandelt. Einen Ruf, den er mit seinem Debütroman „Memorial“ ein Jahr später mehr als bestätigte: Das Buch, welches diesen Herbst unter dem Titel „Dinge, an die wir nicht glauben“ nun auch in deutscher Fassung erschienen ist, wurde von der Literaturkritik bislang nahezu ausnahmslos gelobt und ist, da vom Stoff her wie gemacht dafür, auch schon längst in der Vorbereitung für eine Serienadaption.

Bryan Washington: „Dinge, an die wir nicht glauben“
Kein & Aber, 384 Seiten (geb.)

In „Dinge, an die wir nicht glauben“ erzählt Washington von der Beziehung zwischen Ben, einem schwarzen Kindergärtner, und Mike, einem Koch mit japanischen Eltern. Beide leben schon mehrere Jahren zusammen im texanischen Houston – sind in ihrer Beziehung allerdings mittlerweile an einem Punkt angekommen, an dem sie sich nicht mehr sicher sind, ob diese noch eine Zukunft hat. So richtig können sie nicht mehr an ihre Liebe glauben, finden in ihrem Gegenüber nicht mehr das ersehnte Zuhause. Zu oft fliegen Gegenstände durch die Luft, werden ungestüm Vorwürfe platziert. Und statt aufrichtig miteinander zu kommunizieren, wird der jeweilige Konflikt dann mit Sex befriedet, verbleibt aber letztlich ungelöst.

Als Mikes recht schroff und unnahbar wirkende Mutter Mitsuko spontan aus Osaka zu Besuch kommt und Mike im Gegenzug überstürzt gen Japan abreist, um seinen todkranken Vater zu pflegen, den er seit Jahren nicht mehr gesehen hat, bleiben Ben und die Frau, die er noch nie zuvor gesehen hat, zurück in der gemeinsamen Wohnung – distanziert und wortlos. Doch allmählich tauen beide auf und beginnen, einander gegenüber Nähe und Vertrauen aufzubauen und, mehr noch, ihr Bild vom abwesenden Mike durch den jeweils völlig neu kennenzulernen. Gerade dessen Abwesenheit wird zum verbindenden Glied zwischen den beiden. Irgendwann kehrt dieser jedoch zurück und das ganze Beziehungsgebilde muss noch einmal neu ausgelotet werden…

„Dinge, an die wir nicht glauben“ könnte ein beliebiger, recht lässig erzählter Roman über eine Beziehungsgeschichte sein – wäre da nicht diese fesselnde emotionale Aufrichtigkeit, mit der Bryan Washington seinen Hauptfiguren begegnet. Statt diese uns, den Lesenden gegenüber flach und eindimensional über die Herkunft oder den sozialen Kontext, ihre sexuelle Ausrichtung oder anhand ihrer dominierenden Stärken oder Schwächen herauszuformen und zu definieren, lässt er diese in all der durchdringenden Komplexität, die sie ausmacht, einfach die sein, die sie sind – eben normale Menschen. Normale Menschen, die nach ihrem Platz im Leben suchen bzw. auszuloten versuchen, wo sie ihr ‘Zuhause‘, ihre ganz individuelle Heimat finden. An einem Ort, in einem Gefühl, in einer Person. Daran in dieser Form teilhaben zu dürfen, gibt einem die Bestätigung, dass richtig gute Literatur, wenn sie denn in den richtigen Händen geformt wird, Magisches zu vollbringen weiß: aus dem Nichts ‘echtes‘ Leben hervorzubringen. Und bei Bryan Washington ist sie definitiv in guten Händen.