Fehlfarben: Musik als Zeitdokument

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Die Post-Punk-Pioniere Fehlfarben, gegründet 1979, schufen einige Klassiker der deutschen Musikgeschichte und gelten auch heute noch als eine der innovativsten deutschen Bands. 2022 erschien ihr zwölftes Album „?0??“- der kryptische Titel ist angelehnt an die ungewissen Corona-Jahre, in denen niemand wusste, wann es wieder richtig weitergeht. Im November treten sie nun erstmalig in Erfurt auf. Wir sprachen mit Gründungsmitglied Frank Fenstermacher über die neue Platte.

Das Fehlfarben-Debüt „Monarchie und Alltag“ von 1980 war ein Meilenstein der deutschen Musikgeschichte. Noch heute hat die Platte großen Einfluss auf viele Bands, zahlreiche Referenzen zeugen vom ihrem großen Wirkungskreis. Mittlerweile gibt es sogar eine Graphic Novel über das Album. Wann wurde ihnen bewusst, einen Klassiker geschaffen zu haben und wie blicken Sie heute, über 40 Jahre später, auf das Album?

Frank Fenstermacher: Wir konnten die Rezeption des Albums natürlich nicht vorhersehen. Insofern war es natürlich überraschend, wie wirksam diese Platte in der Zeit wurde. Wenn ich es mir heute anhöre, bin ich immer wieder erstaunt über die energetische Frische, die es ausstrahlt. Ich finde aber, dass es nicht unsere beste Platte ist. Ich halte aktuell „?0??“ z.B. für besser. „Knietief im Dispo“ ist mindestens genauso gut.

Hatten Sie je das Bestreben, diesen auch monetären Erfolg von „Monarchie und Alltag“ zu wiederholen oder stand immer eher die künstlerische Freiheit, dafür aber weniger verkaufte Einheiten im Vordergrund?

Fenstermacher: Es ist kein Geheimnis, dass clevere Vermarktungsstrategien, hohe PR-Etats und ein partizipierendes starkes Management Schlüssel für einen geplanten Erfolg sind, wo dann lange über das richtige Outfit, den angesagten musikalischen Stil und den richtigen Video-Regisseur nachgedacht wird. In dieser luxuriösen Situation der Unselbstständigkeit sind wir eigentlich nie gewesen. Wir haben immer Musik gemacht, in der wir auch unser Unbehagen in der Kultur musikalisch zum Ausdruck bringen wollten, weil wir unzufrieden sind mit der Situation, wie sie existiert. Das ist unser Motor, daran hat sich nichts geändert, und das kann man nur schwer schön designen. Und leicht vermarkten, was jetzt natürlich nicht heißen soll, dass wir wollen, dass unsere Platten keinen Erfolg haben. Das Gegenteil ist ganz klar der Fall.

Am 28.11. treten Fehlfarben zum ersten Mal in Erfurt auf.
Foto:Neal McQueen

Musik und ihre Marktmechanismen sind im steten Wandel – mittlerweile zählt der schnelle Klick, kaum jemand nimmt sich noch die Zeit, ein Album durch mehrmaliges Hören wachsen zu lassen. Wie geht eine Band wie Fehlfarben, bei der es auch immer ums Zuhören geht, damit um?

Fenstermacher: Ehrlich gestanden machen wir uns darüber nicht wirklich Gedanken. Eine neue Platte ist immer gedacht als ein Zeitdokument, welches zusammenhängt. Jeder Song ist gleichzeitig aber auch eigenständig und als solcher hörbar. Dass die Zeit den Menschen verloren geht, ist ein Resultat der Unterwerfung unter unsere irrsinnig schnelllebige und ungesunde materialistische Welt. Das ist eines unserer Hauptthemen und es braucht für die, die uns hören, schon ein wenig geistige Unabhängigkeit und Mut im Denken, gegen diese starken Strömungen anzuschwimmen.

Die heutige Zeit ist ja davon geprägt, dass kaum noch Atempausen gemacht werden: Alles geht rasant voran – so auch der technische Fortschritt. Ich habe kürzlich ChatGPT gefragt, ob Fehlfarben schon jemals ein Konzert hier in Erfurt gespielt haben, ich weiß es nämlich nicht. Die KI sagt Nein. Hat sie Recht? Wenn nicht, dann kann sie eigentlich direkt wieder weg. Oder ist der Siegeszug der Künstlichen Intelligenz auch in der Musik nicht mehr aufzuhalten? Ist ein Spiel mit solch neuen Innovationen auch eine Option für Fehlfarben?

Fenstermacher: Wir sind total neugierig auf Erfurt, denn die KI hat Recht. Wir haben dort wirklich noch nicht gespielt. Vielleicht täusch’ ich mich da aber auch? Und ChatGPT liegt falsch? Spielen kann man ja mal damit. Es könnte ja etwas unvorhersehbares Interessantes heraus kommen, so nach dem Motto: höhere Wesen befahlen. Als zufälliges Spiel bei Langeweile vielleicht interessant, als Prinzip wohl eher nicht, es sei denn, wir hätten selber nichts mehr zu sagen. Aber dann wären die gesellschaftlichen Verhältnisse vermutlich in besserer Ordnung.

Vielen Dank für das Gespräch.

Interview: Michael Stocker

Fehlfarben live: am 28.11.2023 um 20 Uhr im Kalif Storch, Zum Güterbahnhof 20. Tickets sowie weitere Informationen sind zu finden unter www.fehlfarben.com und www.kalifstorch.com!

Dieser Text erschien in Ausgabe 76 im Stadtmagazin tam.tam.