„Ich bin ganz okay im Rennen“

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Niels Frevert hat ein neues Album veröffentlicht: Dreieinhalb Jahre nach dem umjubelten „Putzlicht“ gibt es jetzt wieder neue Musik vom Pop-Chansonnier aus Hamburg. Sein neues, siebtes Album heißt „Pseudopoesie“ und überrascht wieder mit wunderschönen Popsongs. Frevert, Held aller Lieddichter/innen deutscher Sprache, hat sich weiterentwickelt und die neue Platte sogar tanzbar. Natürlich stellt Frevert sein neues Werk auch live mit Band vor. Am 9. Mai kommt der 55-Jährige nach Erfurt in die Zentralheize. 

Nils Frevert
Foto: Dennis Dirksen

Herr Frevert, Sie lieben Melancholie und Poesie. Warum heißt Ihr neues Album „Pseudopoesie“?

Niels Frevert: Es ist ein schönes Wort, klingt nicht nur gut, sondern sieht geschrieben auch noch gut aus. Es geht sicher um die Zweifel des Autoren und bestimmt auch um den Meta-Mittelfinger Richtung Mainstream. Den Begriff Poet kann man ganz verschieden interpretieren. Und er ist in den vergangenen Jahren sehr inflationär benutzt worden. Und ich höre in dem Wort sogar etwas Kitsch heraus und ich mag Kitsch, wenn er gut gemacht ist. Den Begriff Pseudo empfinde ich in diesem Zusammenhang als positiv. Auch meine Plattenfirma fand den Titel gut. Ich könnte mir das erlauben, sagten sie. (lacht)

Die Produktionsphase für das neue Album dauerte nur sechs Wochen. Nach Ihrem Solodebüt war das der kürzeste Zeitraum für die Aufnahmen. Sie waren immer jemand, der etwas langsamer ist. Warum ging es jetzt so schnell?

Frevert: Durch die Pandemie hatte ich viel Zeit zum Schreiben. Dann habe ich den Produzenten Tim Tautorat kennengelernt und ich wusste, dass er nicht nur zwei Platten im Jahr macht, sondern sieben bis acht. Er arbeitet zügig, ist entscheidungsfreudig und mutig. Ich habe so intensiv an meinen Demos gearbeitet wie bei meinem Solodebüt 1997. Ich wusste, dass ich all meine Teilchen zusammen haben muss, wenn wir loslegen. Ich wäre sonst in Teufelsküche gekommen. Es war schon viel da und ich wusste, wenn ich mit Tim arbeite, muss ich schnell sein. Das hat geholfen. Ohne Druck lasse ich mir ewig Zeit.

Die neue Platte wurde komplett mit Ihrer Liveband aufgenommen. Das gab es auch noch nie. 

Frevert: Stimmt. Es war wirklich das erste Mal, dass alle zusammengeblieben sind und keiner weg musste. Das fühlt sich richtig gut an im Hinblick auf die kommendeTour.

Mit „Putzlicht“ wurde 2019 ein Wandel vollzogen…

Frevert: Ja, da gab es mehr E-Gitarren und die Produktion war größer. Jetzt folgte der nächste Schritt. Auf der neuen Platte gibt es noch mehr E-Gitarren und es ist etwas tanzbarer. Das hat sich so ergeben mit den Songs, aber es gab von vornherein die Motivation, wieder auf Tour zu gehen. Anfang 2020 musste ich wegen Corona eine Tour absagen, das war sehr unschön. Ich will jetzt erreichen, dass man Bock hat, das neue Album live zu erleben.

Haben Sie sich selbst etwas unter Druck gesetzt, „Putzlicht“ toppen zu müssen? Wenn ein neues Album von Ihnen angekündigt wird, dann ist das schon eine Wucht. 

Frevert: Toppen würde schwierig werden, dachte ich. „Putzlicht“ war ein schöner Erfolg, der mir gutgetan hat und etwas bewegt hat. Ich setze mich nicht unter Druck, höchstens unter Zeitdruck. Woran soll man es fest machen? Die neue Platte sollte nicht schlechter werden. Das hat funktioniert. 

Wo sehen Sie sich mit dem neuen Werk?

Frevert: Leider leben wir in Zeiten von Klickzahlen und Vergleichen. Das finde ich schwierig. Ich habe meine Zweifel, dass das der Popmusik gut tut. Ich bin ein Album-Künstler, mag Romane und Filme. Ich finde es schön, wenn sich etwas entwickelt. Was ich sagen will: Das mit dem Erfolg ist relativ. Da gibt es verschiedene Parameter. Ich bin schon länger unterwegs und bei mir definiert sich das anders. Ich bin erfolgreich, weil ich regelmäßig Platten veröffentlichen kann. Bei mir geht es nicht um eine Chart-Positionierung. „Pseudopoesie“ ist mein siebtes Soloalbum. Das ist mein persönlicher Erfolg. Ich bin ganz okay im Rennen. 

Die Abendsonne auf deiner Haut entgleitet dir sanft“ – Wie entstehen solch schöne Textzeilen?

Frevert: Die kommen mir zugeflogen. Wenn sie bei mir landen, schreibe ich sie schnell auf. Ich bin tatsächlich immer im Einsatz. Ich sammel’ immer, auch die Sachen, von denen ich im ersten Moment gar nicht so überzeugt bin. Und ich singe diese Worte so, dass sie nicht konstruiert klingen. Songtexte zu schreiben – das ist der schönste Beruf der Welt. Man muss nicht mit Ende 40 noch genausosingen, wie man es mit Anfang 20 getan hat. Dazu kommt, ich habe schon einige Geschichten erzählt und möchtemich nicht wiederholen. Diese Herausforderung erfüllt mich. Ich will mich nicht auf Lorbeeren ausruhen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Interview: Reinhard Franke

Niels Frevert live
09.05.2023
Zentralheize Erfurt