Mit dem neuerlichen bundesweiten Lockdown (›light‹) ist der Zugang zu kulturellen Angeboten außerhalb der eigenen vier Wände erneut empfindlich eingeschränkt worden – ein Umstand, der das Buch noch mehr als sonst in der dunklen Jahreszeit zu einer willkommenen Alternative werden lässt. Bei der Qual der Wahl der passenden Lektüre stehen wir natürlich gern hilfreich zur Seite — mit Büchertipps zu aktuellen Neuerscheinungen. Heute:
Christine Wunnicke: »Die Dame mit der bemalten Hand«
Welterklärung anno 1762
Es ist bei weitem nicht das einzig Bemerkenswerte an den Romanen von Christine Wunnicke, aber doch ein recht hervorstechender Umstand: So augenscheinlich schmal eine jede ihrer Erzählung zwischen den Buchdeckeln daherkommen mag, sind diese dennoch stets derart prall mit Inhalt –also grandios skurrilen, bestens recherchierten historischen Geschichten, grandiosen Dialogen und kunstvollen, durch die Bank genial gezeichneten Porträts gefüllt, dass sie ‘wie von allein‘ das vermögen, was so manch anderes Romanwerk trotz Ziegelsteinumfang nicht vermag: Sie bergen in sich ein profundes, schieres Lesevergnügen – jedes Mal aufs Neue. Was unter anderem dazu geführt haben dürfte, dass Wunnickes neuestes Werk „Die Dame mit der bemalten Hand“ ebenso wie die beiden Vorgängerromane für den Deutschen Buchpreis nominiert wurde und die Autorin selbst jüngst erst den prestigeträchtigen Wilhelm-Raabe-Preis entgegennehmen durfte.
Für „Die Dame mit der bemalten Hand“ hat Christine Wunnicke ihren erzählerischen Blick neuerlich in die Vergangenheit gerichtet – um dieser die Geschichte um den Forschungsreisenden und Mathematiker Carsten Niebuhr aus dem Bremischen zu entlocken, der um 1760 mit dem Auftrag, die Schauplätze der Bibel zu vermessen, in den Orient reist, irgendwie vom Reisekurs abkommt, auf der vor Mumbai liegenden, nicht wirklich einladenden Insel Elephanta strandet und dort, wieder einmal vom Malariafieber befallen, in dem zufällig ebenfalls unfreiwillig auf dem Eiland gestrandeten persischen Astrolabien-Baumeister Musa nicht nur einen willkommenen Retter, sondern auch redseligen Gesprächspartner findet, mit dem er sich ganz wunderbar öst-westlich missversteht und streitet, aber auch zu manch neuer Erkenntnis gelangt…
In der für Wunnicke so typischen, lakonisch-reduzierten Erzählweise, die sowohl ihren Figuren als auch dem Leser viel wunderbar viel Raum für eigene Gedanken lässt, offenbart uns „Die Dame mit der bemalten Hand“ eine sonderbar offene, wunderbar tiefschichtige Geschichte, die in ihrer großartigen Kleinheit viel zu früh an ihrem Ende angelangt ist – so dass man einmal mehr nicht anders kann, als sich unweigerlich sofort nach einem weiteren, nächsten Wunnicke-Roman zu sehnen.