Jedes Türchen ein Pläsierchen: Der belesene Adventskalender

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Sie brauchen dieser dunklen Tage mal wieder frische Lektüreideen? Wissen wieder einmal nicht, was verschenken an Weihnachten? Ein Buch geht immer – und Vorschläge haben wir reichlich. Bis zum 24. Dezember öffnen wir hier täglich ein weiteres Türchen, um Ihnen eines jener Bücher mit dem besonderen Etwas vorzustellen, die dieses Jahr das Licht der Welt erblickt haben. Kommen Sie mit uns auf Adventslese – möglicherweise werden Sie ja fündig. Hinter Türchen Nr. 6 zum Vorschein kommt heute:

Nancy Campbell: »Fünfzig Wörter für Schnee«

Nancy Campbell: „Fünfzig Wörter für Schnee“
Hoffmann und Campe, 233 Seiten (geb.)

Schneegestöber

Im Grunde genommen ist es so trivial wie faszinierend: Eine Schneeflocke fällt vom Himmel, schmilzt irgendwann, steigt gasförmig wieder auf, fällt als Schneekristall noch einmal am gleichen Fleck, möglicherweise aber auch andernorts wieder herab – vielleicht erst in Schottland, das nächste Mal in Grönland, dann mal in Finnland, in Russland, Japan oder Alaska, gern auch in China oder der Mongolei. Egal, wo sie aus den Wolken fällt, hat sie die gleiche sechseckige Grundstruktur – und ist doch nie die gleiche Schneeflocke. Was sich wiederum auch in den verschiedenen Bezeichnungen widerspiegelt, mit der sie je nach Erscheinungsbild benannt wird. Wenn in Island so zum Beispiel „Hundslappadrífa“ vom Himmel fallen, ist das für die Kinder eine Riesenfreude, denn aus den „Flocken so groß wie Hundepfoten“ lassen sich die perfekten Schneebälle formen. Mit „Seaŋáš“, dem granulatartigen Schnee der Sámi, geht das weniger gut, dafür eignet dieser sich geschmolzen hervorragend als Trinkwasser – wie auch das „Immiag“, das geschmolzene Schnee- und Gletscherwasser, das die Grönländer zur Craft-Beer-Produktion nutzen. Die übrigens nur der Legende nach mehrere Hundert Wörter für ‘Schnee‘ haben – wohingegen gerade die Schotten, die wahrlich nicht regelmäßig Schnee zu Gesicht bekommen, tatsächlich weit mehr als 400 Wörter kennen, um die weiße Pracht vor ihrer Tür hinsichtlich ihrer Beschaffenheit, Form und Struktur bei einem ganz individuellen Namen zu nennen. Ob die Menschen in Neu-Guinea wiederum mit der geschätzten schwedischen Tradition des „Snöängel“ vertraut sind, ist noch nicht erforscht, Schnee kennt man allerdings auch hier: als jenes Phänomen, wenn „Eis wie Baumwolle“ vom Himmel fällt. Und selbst in Äquatorialafrika ist Schnee beheimatet, obgleich er dort nur für die wenigsten erreichbar ist: Hoch oben auf dem Gipfel des Kilimandscharo mischt sich das kalte Weiß des „Theluji“ mit dem steinernen Schwarz der lange erkalteten Lavakegel. Die schottische Lyrikerin und Sachbuchautorin Nancy Campbell hat sich dieser faszinierenden Sprachvielfalt angenommen und lädt ihre Leser und Leserinnen zu einem wunderbar kurzweiligen, kultur- und sprachgeschichtlichen Kurztrip durch die Schneelandschaften dieser Welt ein. So einzigartig wie jede individuelle Schneeflocke sind die Wörter aus ganz unterschiedlichen Sprachen, die auf Schnee in all seinen verschiedenen Erscheinungsformen Bezug nehmen.

Mit „Fünfzig Wörter für Schnee“ hat Campbell ein Sachbuch geschaffen, das sich ohne Zweifel ‚einzigartig‘ nennen darf, perfekt in die aktuelle Jahreszeit passt und auch als Geschenkidee ziemlich großes Potenzial aufweist – und überdies gute Chancen hat, im fortschreitenden Klimawandel eines Tages die Funktion einer prosaischen Erinnerungsstütze zu übernehmen, um sich den dann möglicherweise seit Jahren oder Jahrzehnten nicht mehr gefallenen Schnee ins Bewusstsein zurückzurufen.